Steirische Pfadfinder: Interview mit Johanna Müller-Hauszer
Pfade finden: Raus aus der Komfortzone!
„Wir sind die traditionsreichste internationale Jugendbewegung," so Johanna Müller-Hauszer, die Landesleiterin der steirischen Pfadfinder und Pfadfinderinnen. „Aber Bewegung bedeutet das Gegenteil von Stillstand!" Im Interview mit „Ich tu's" spricht sie daher über die Anforderung, die eigene Komfortzone zu verlassen, die Weiterentwicklung von Natur- und Umweltbezug in der pädagogischen Arbeit, Geschlechtergerechtigkeit, Bewusstsein für Nachhaltigkeit und ambitionierte Projekte zum Klimaschutz.
Die Pfadfinder und Pfadfinderinnen gibt es seit fast 120 Jahren - wo steht die Organisation heute und was macht sie trotz des großen Angebots rundum für Kinder und Jugendliche attraktiv?
Wir haben über 85.000 Mitglieder in ganz Österreich, davon 3500 in der Steiermark, wo wir zuletzt ein Wachstum von 13 % verzeichneten. Insofern können wir uns wirklich nicht beklagen, im Gegenteil. Ich denke, was uns von anderen Organisationen unterscheidet ist, dass sich bereits Kinder, aber auch Jugendliche und manchmal Erwachsene ganz bewusst für eine Mitgliedschaft entscheiden. Zu unseren Grundmethoden zählt ja, eine - auf das Alter abgestimmte - Herausforderung zu meistern und dann das Pfadfinderversprechen abzulegen. Das bedeutet, man muss raus aus der eigenen Komfortzone. Außerdem gilt: Einmal Pfadfinder/in, immer Pfadfinder/in! Weiters basiert unsere Organisation von Anfang an auf Internationalität. Wenn man frühzeitig Menschen aus anderen Ländern kennenlernt und Freundschaften schließt, wirkt dies Hetze und Krieg entgegen und fördert stattdessen ein friedliches Miteinander.
Das ist gerade aktuell wieder wichtiger denn je. Wie haben sich die pädagogischen Konzepte über die Jahrzehnte hinweg verändert?
Eben erst haben wir diese komplett überarbeitet, unter anderem gibt es nun auch ein auf 5- bis 7-Jährige zugeschnittenes Angebot. Gerade in der Stadt haben wir regen Zulauf, weil die Kinder es nicht mehr gewöhnt sind, sich in der Natur, zum Beispiel im Wald, sicher und verantwortungsvoll zu benehmen. Die Vermittlung von Natur-, Umwelt- und Klimaschutz muss inzwischen aber generell viel weiter gedacht werden. Die Anreise zu unseren Pfadfinder/innen-Lagern etwa organisieren wir in Fahrgemeinschaften, wir verwenden ausschließlich Bio-Produkte und nützen das regionale Angebot. Die Bewusstseinsarbeit betrifft also auch unsere eigenen Strukturen.
Inwiefern genau?
Gerade sanieren wir zum Beispiel unsere Pfadfinder/innen-Heime energiegerecht, derzeit ist das Haus in Trofaiach an der Reihe. Außerdem verwenden wir zum Heizen Thermostat-Steuerungen in unseren Büros und Busanfahrten zu den Bundestreffen sollen CO2-kompensiert werden. Derzeit ist ein umfangreiches Nachhaltigkeitskonzept in Arbeit, das sämtliche Organisationsbereiche umfasst. Es geht darum, auf jeder Ebene Bewusstsein zu schaffen.
Gibt es dazu sonst noch konkrete Projekte?
Ja, das große Landeslager mit über 2000 Teilnehmenden, das für 2021 in Fürstenfeld geplant ist, wird unter dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit stattfinden, und zwar in allen Facetten. Eine Pfadfinderin erarbeitet im Rahmen ihrer Diplomarbeit gerade ein Konzept dafür, das geht von der Mobilität über Müllentsorgung bis hin zum möglichst geringen Energieverbrauch vor Ort. Denn was bedeutet das, wenn man für zwei Wochen eine komplett autonome Infrastruktur auf eine Wiese stellt, was macht das mit der Umwelt? Solchen Fragen muss man sich stellen. Wir wollen ein Vorzeigeprojekt für zukünftige Veranstaltungen dieser Art schaffen und Erfahrungen einbringen, die ja auch für andere Organisationen von Bedeutung sind. Es soll das erste, als Green Event zertifizierte Pfadfinder/innen-Lager in Österreich werden, das benötigt viel Planung und Vorbereitung, sowie die Bereitschaft, an und über Grenzen zu gehen.
Apropos Grenzen: Zu Beginn haben wir über Internationalität gesprochen, wie sieht es damit innerhalb der Gruppen aus bzw. wie gestaltet sich die Geschlechterverteilung?
Wir haben 2015 unsere Informationsmaterialien auch auf Farsi, Türkisch und Arabisch herausgebracht, denn Eltern vertrauen uns ihre Kinder logischerweise nur an, wenn sie wissen, worum es in unserer Bewegung geht. Da braucht es einfach viel Kommunikation. Auch gibt es die Möglichkeit, dass Mitgliedsbeiträge übernommen werden, wenn sie für jemand nicht leistbar sind. Zudem sind die Pfadfinder und Pfadfinderinnen interkonfessionell und überparteilich. Was das Geschlechterverhältnis betrifft, gibt es schon seit den 1970ern bei uns die Regel, dass wirklich alle Funktionen doppelt besetzt werden müssen, jeweils mit einer Frau und einem Mann. Das hat sich sehr bewährt und inzwischen haben wir wirklich eine perfekte 50/50-Quote. Dieses Regelwerk ist so fix verankert, dass es darüber kaum noch Debatten gibt, es funktioniert einfach!
Graz, Juni 2018